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70 Jahre CDU - Happy Birthday, Machtmaschine

Die CDU feiert ihren 70. Geburtstag und blickt auf eine politisch einmalige Erfolgsgeschichte zurück. All die Jahre hatte die Partei im Grunde nur ein einziges Erfolgsrezept

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die CDU feiert Geburtstag, den 70. Vor Kraft kann die Partei derzeit kaum gehen. Weder die Eurokrise noch die Querelen in der Großen Koalition können das Selbstbewusstsein der Christdemokraten derzeit trüben. Die SPD ist keine ernsthafte Konkurrenz. Eine Partei feiert ihre politisch einmalige Erfolgsgeschichte.

Ohne Zweifel. Maßgeblich haben Christdemokraten die Geschichte der Bundesrepublik geprägt. Sie haben in 47 von 67 Jahren den Kanzler beziehungsweise die Kanzlerin gestellt. Sie haben in den letzten sieben Jahrzehnten die entscheidenden politischen Weichen in dem Land gestellt. Westbindung, Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung. Mitbestimmung und beitragsfinanzierte Rente. Unter den römischen Verträgen zur Gründung der EWU steht die Unterschrift eines CDU-Kanzlers genauso wie unter dem EWWU-Vertrag zur Einführung des Euro und unter dem Maastrichter Vertrag zur Gründung der EU. Unter einem Christdemokratischen Kanzler wurde in Deutschland das erste Atomkraftwerk gebaut und unter einer christdemokratischen Kanzlerin werden die deutschen Atomkraftwerke nun wieder abgerissen. Auch die Wehrpflicht wurde von einer CDU-Regierung eingeführt und später von einer CDU-Regierung wieder abgeschafft. Die CDU hat den Einstieg in den Schuldenstaat verantwortet und feiert sich derzeit für ausgeglichene Haushalte.

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Partei ohne Markenkern
 

Geschadet hat diese politische Wendigkeit der CDU in der Wählergunst nicht. Im Gegenteil. Fast scheint es, als sei die Partei in den letzten 70 Jahren die meiste Zeit ohne Markenkern ausgekommen. Hauptsache, es waren für die Partei Wahlerfolge garantiert und für ihre Wähler wirtschaftlicher Aufstieg sowie soziale Sicherheit.

Happy Birthday Machtmaschine.

Wer hätte das vor 70 Jahren gedacht. Als im Sommer 1945 Menschen in ganz Deutschland und vor allem am 26. Juni 1945 in Berlin dazu aufriefen, die Christlich Demokratische Union zu gründen, da konnte in der Tat niemand ahnen, dass damit eine einmalige politische Erfolgsgeschichte beginnen würde.

Zu unterschiedlich war die Herkunft der Mitglieder dieser neuen Partei, die weder eine gemeinsame Geschichte, noch eine gemeinsame Überzeugung verband. Solche Mitglieder waren darunter, die Hitler an die Macht verholfen hatten und solche, die gegen die Nazis Widerstand geleistet hatten. Konservative und Liberale, Katholiken und Protestanten, die damals noch voneinander abgeschottet in gänzlich unterschiedlichen Milieus lebten. Einig waren sich die Christdemokraten der ersten Stunde darin, nach vorne zu schauen und nicht zurück, und vor allem nicht die Frage nach der Schuld zu stellen, weder kollektiv noch individuell. Das einzige, was die Christdemokraten der ersten Stunde darüber hinaus verband, waren das Erschrecken über die Verbrechen der Nationalsozialisten, das Entsetzen über ein Land in Trümmern und der Wille, das Land neu aufzubauen.

Schon über das Wie gab es jedoch gänzlich unterschiedliche Auffassungen. Die einen wollten die Industrie verstaatlichen und träumten von einem christlichen Sozialismus, die anderen wollten den nationalsozialistischen Staatskapitalismus zerschlagen und die traditionelle Wirtschaftsordnung der Weimarer Republik restaurieren. Die erste Bundestagswahl gewann diese heterogene Partei denkbar knapp.

Gelingen konnte der Aufstieg der CDU zur Machtpartei der Bundesrepublik nur, weil die Landesverbände in der Partei anfangs weitgehend autonom agieren konnten. Regionale Identitäten rückten in den Vordergrund, in Niedersachsen, im Rheinland, in Baden und Württemberg. Starke Länder waren die Basis des bundespolitischen Erfolges. Die Bundespartei hingegen war schwach. Sie war eine Honoratiorenpartei und keine Volkspartei. Nur für die Bundestagswahlkämpfe rückte die föderale Partei zusammen. Diese wurden in den Anfangsjahren allerdings nicht in der Parteizentrale organisiert, sondern im Kanzleramt. Erst als sich die alten Milieus im Wirtschaftswunderland Deutschland auflösten, wurde aus dem Zusammenschluss der Landesverbände eine gemeinsame Partei. Zugleich generierte die CDU als Partei der sozialen Marktwirtschaft ihren ersten identitätsstiftenden Mythos.

Ein Programm hingegen brauchte die CDU lange nicht. Das verabschiedete die Partei erst in den siebziger Jahren, als sie sich im Bundestag erstmals auf den Oppositionsbänken wiederfand und sich zum ersten Mal modernisieren musste. Anders als die SPD war die CDU jedoch nie eine Programmpartei. Zimperlich war sie nicht, wenn es um den Machterhalt ging. Selbst die schwarzen Kassen, mit denen die Partei über Jahrzehnte ihre Wahlkämpfe finanzierte, haben ihr die Wähler längst verziehen.

Die Kanzlerpartei
 

„Auf den Kanzler kommt es an“, diese alte Wahlkampfparole von Konrad Adenauer aus den 1950er Jahren ist im Grunde das einzige christdemokratische Erfolgsrezept. Adenauer, Kohl, Merkel. Auf den Kanzler kommt es an. Oder, wie es 2009 im Bundestagswahlkampf hieß: „Wir haben die Kanzlerin.“ Und wenn kein politisches Wunder passiert, vulgo eine politische Katastrophe, dann wird diese Parole auch bei der Bundestagswahl 2017 das Erfolgsrezept der CDU sein. Die Machtalternative zur Großen Koalition heißt derzeit nicht Rot-Rot-Grün, sondern Schwarz-Grün, selbst Schwarz-Gelb könnte in zwei Jahren eine Renaissance erleben. Die SPD hingegen ist so schwach, dass sie die CDU nicht herausfordern kann. Ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat, der Merkel ernsthaft herausfordern könnte, ist nicht in Sicht.

Auf die CDU warten die großen politischen und personellen Herausforderungen erst danach. Angela Merkel wird irgendwann abtreten, zugleich ist die Partei mittlerweile so weit in die Mitte gerückt, dass sich neben ihr eine neue rechtspopulistische Partei etablieren könnte. Eine personelle Alternative zu Merkel, mit der sich die Tradition starker Kanzler bruchlos fortsetzen könnte, drängt sich in der CDU indes nicht auf. Weder mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch mit Innenminister Thomas de Maizière. Und die einst so starke Machtbasis der CDU in den Ländern ist in einem Ausmaß erodiert, dass der regionale Motor der Machtmaschine mittlerweile stottert.

Nur noch in vier Bundesländern stellt die CDU den Ministerpräsidenten. Vor sieben Jahren, zu Beginn der Ära Merkel, waren es noch neun. Den Aufwand, den die Partei in Wahlkämpfen betreiben muss, wird immer größer, weil die Zahl der Stammwähler immer kleiner wird. Die Mehrzahl der CDU-Wähler kann sich mittlerweile vorstellen, auch eine andere Partei zu wählen. Das war unter Adenauer und Kohl noch völlig anders.

Die Parole „Auf den Kanzlerin kommt es an“ könnte für die CDU schon bald eine völlig neue Bedeutung bekommen. Allzu hochmütig sollte sie deshalb an ihrem 70. Geburtstag nicht auf die politische Konkurrenz herabblicken.

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