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Sicherheit vs. Freiheit - Der Konflikt des 21. Jahrhunderts

Die NSA-Affäre hat das Potenzial, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern: Die Frage "Sicherheit vs. Privatsphäre" könnte eine der großen politischen Konfliktlinien des 21. Jahrhunderts werden.

Portraet Andrea Roemmele

Autoreninfo

Andrea Römmele ist Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Hertie School of Governance in Berlin.

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Der Skandal um die amerikanische Nationale Sicherheitsbehörde, NSA, füllt die Blätter, Nachrichtensendungen und die sozialen Medien. Offenbar hat die US-Behörde auch in Deutschland im großen Stil Telefonate, Mails und SMS mitgelesen, und die Empörung der Deutschen ist dementsprechend und zu Recht groß. Denn was bisher über die Spionagepraktiken bekannt ist, legt den Verdacht nahe, dass wir es nicht mit einem „Skandal“ im klassischen Sinne zu tun haben, also einer Verfehlung oder einem Vorkommnis, das nun enttarnt wurde und aufgearbeitet wird. Vielmehr zeichnet sich ab, dass hinter der aktuellen Diskussion eine Grundsatzfrage schlummert, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat: Wie halten wir’s mit dem Internet? Mit den großen Chancen und Risiken, welche die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien bieten?

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Diese Frage hat die Qualität, eine neue große gesellschaftliche Konfliktlinie zu werden und damit die politischen Denk- und Handlungsmuster nachhaltig zu prägen. Traditionell waren diese großen Trennungslinien beispielsweise die von „Arbeit vs. Kapital“ oder „Stadt vs. Land“. Eine ähnliche Dynamik brachte zuletzt das Thema Umweltschutz mit sich. In den 70er und 80er Jahren war das Aufkommen der Konfliktlinie „Ökologie vs. Ökonomie“ zu beobachten. Mittlerweile scheint die Integration der beiden Ziele, wirtschaftliche Entwicklung bei gleichzeitigem Schutz der natürlichen Ressourcen, möglich und wird von der Bevölkerung offensiv eingefordert. Dies mag einen Hinweis darauf geben, welche Entwicklung so eine gesellschaftliche Streitfrage nehmen kann.

Die neue Konfliktlinie des 21. Jahrhunderts könnte die von „Sicherheit vs. Privatsphäre“ werden. Im Grundsatz ist diese Frage schon lange bekannt, das Thema der Inneren Sicherheit – und dessen, was in ihrem Namen möglich und vertretbar ist – hat in der öffentlichen Diskussion immer wieder eine große Rolle gespielt. In Zeiten des Internet und sozialer Medien ist das Thema aber anders gelagert und deswegen neu: Mehr denn je stellen wir selbst Inhalte ins Netz – auch persönliche. Wir nutzen begeistert die neuen Technologien, obgleich wir ahnen, dass dies nicht vollständig geschützte Räume sind. Gleichzeitig fordern wir von Politik und öffentlicher Verwaltung größtmögliche Transparenz. Damit ist beispielsweise die Offenlegung von per se zugänglichen Daten gemeint, Statistiken etwa oder öffentliche Budgets oder auch Daten zu geplanten Projekten.

Allerdings werden eben auch Auskünfte über andere Aktivitäten eingefordert, ein Anspruch, der Aktivisten wie Julien Assange oder Edward Snowden erfüllen. Das diese Forderungen wiederum nicht von allen geteilt werden, zeigen die Debatten, in denen auch der Möglichkeit der Geheimhaltung ein hoher Wert beigemessen wird. Insbesondere, wenn es um den Schutz der Bevölkerung geht. Diese Konstellation – Argumente auf beiden Seiten, die aber schwer zu kombinieren sind – ermöglicht das Aufkommen einer neuen Konfliktlinie.

Aber wie denken eigentlich die Amerikaner darüber? Was sind hier die Meinungen, wie überträgt sich dieser gesellschaftliche Konflikt  in das amerikanische Parteiensystem – und was ist daraus für die Entwicklung in Deutschland abzuleiten? Die jüngst veröffentlichten Daten des Pew Research Centers sind erstaunlich und zeigen nicht zuletzt die Wunden, die der 11. September 2001 hinterlassen hat und die immer noch nicht geheilt sind. Die Zahlen zeigen, wie die Amerikaner das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Schutz der Privatsphäre sehen. Die Werte sind stabil, es gab zwischen 2006 und 2013 kaum Veränderungen, auch die Veröffentlichung der NSA Spähangriffe hat die Amerikaner also nicht umgestimmt: 2006 sahen 65% der Amerikaner Lauschangriffe als ein probates Mittel gegen Terrorbekämpfung an, im Juni 2013, also bereits nach der Veröffentlichung der NSA-Äffäre, waren es kaum weniger: 62% der Amerikaner finden ein solches Vorgehen gerechtfertigt.

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Wie lassen sich diese Einstellungen nun auf dem politischen Spektrum verorten? Interessant ist, dass es offenkundig eine Entwicklung hin zu parteiübergreifender Übereinstimmung gibt. Während 2006 noch drei Viertel aller Republikaner das Abhören von privaten Telefongesprächen und E-Mails als legitim ansah, war es 2013 lediglich etwas mehr als die Hälfte. Das mag durch gestiegenes Bewusstsein für die Gefährdung der Privatsphäre erklärbar sein. Die Überraschung in den Daten aber liegt bei den Demokraten: Während hier 2006 lediglich 37% ein solches Vorgehen für akzeptabel hielten, sind es nun zwei Drittel! Damit haben die Anhänger der Demokraten jene der Republikaner sogar überholt. Gemessen an der Aktualität der derzeitigen Ereignisse und der großen medialen Beachtung, die beispielsweise „Whistleblower“ finden, mögen diese Werte noch keine Prognosekraft haben. Es zeigt sich allerdings, dass es hier ein Thema gibt, das über Parteigrenzen hinweg kontrovers gesehen wird – auch die veränderten Werte bei den unabhängigen Befragten deuten darauf hin.

In den USA wie auch in Deutschland bedeutet dies also, dass die Frage von Sicherheit vs. Privatsphäre aus politischer Sicht schwieriges Gelände ist. Angela Merkel hat für ihre Formulierung, es handele sich um „Neuland“, viel Spott einstecken müssen, insbesondere aus der Netzgemeinde. Aber ihr ist Recht zu geben, wenn sie darauf verweist, dass die Politik vor völlig neuen Fragen steht und damit auch die Bevölkerung sich neu orientieren muss.

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