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Margareth Thatcher - Europas Epochenfrau

Sie galt als die „Eiserne Lady“: Die ehemalige britische Premierministerin Margareth Thatcher ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Sie modernisierte ihr Land brachial – und säte jene Zweifel an Europa, die Großbritannien noch heute so EU-skeptisch machen. Ein Nachruf

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Borger, Sebastian

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Wenn man den hasserfüllten Ankündigungen Glauben schenkt, knallen jetzt in vielen linksliberalen Intellektuellen-Haushalten die Sektkorken. „Eine Generation von Gewerkschaftlern“ werde „auf ihrem Grab tanzen“, so stand es auf T-Shirts, die noch 2012 am Rande des alljährlichen Arbeitnehmer-Kongresses verkauft wurden. Anderswo, in den Vorstädten, in der City of London, in den konservativen Clubs des Landes, wird es echte, tief empfundene Trauer geben. Instinktiv spüren glühende Verehrer wie unversöhnliche Gegner: Margaret Hilda Thatcher war eine Gestalt von epochaler Bedeutung, die mithin wichtigste im Amt des Regierungschefs seit Kriegspremier Winston Churchill. Kein Zeitgenosse hat die Briten so tief gespalten wie die erste und bisher einzige Premierministerin des Vereinigten Königreichs (1979-1990), die 87-jährig an den Folgen eines Schlaganfalls in London gestorben ist.

Sie habe Britannien wieder Great gemacht, argumentieren Thatchers Bewunderer: den kranken Mann Europas aus dem Würgegriff der Gewerkschaften befreit und mit einer brutalen Rosskur fit gemacht für die Globalisierung; die Briten aus der Lethargie gerissen und dadurch ungeheures Kreativpotenzial freigesetzt, nicht zuletzt in der Finanzindustrie; durch engste Anbindung an Amerika den Westen gestärkt und damit das Ende des kalten Krieges beschleunigt. Die Insel sei vulgär, intolerant, großkotzig geworden, wenden Thatchers Verächter ein, ein amerikanischer Brückenkopf in Europa, ein gigantisches Niedrigsteuer-Gebiet, wo sich die übelsten Auswüchse des Kasino-Kapitalismus ungehindert austoben durften.

Auf internationalem Parkett brachte sie Partner wie Kontrahenten zur Weißglut. Die Bezeichnung „eiserne Lady“ war von sowjetischen Propagandisten als Verächtlichmachung der strammen Antikommunistin geplant; sie adoptierte den Begriff stolz. Ihr Gesinnungsgenosse, US-Präsident Ronald Reagan, stöhnte ebenso über Thatchers nicht enden wollende Vorträge wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt („Rhinozeros“) oder Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand, der in der knallharten Praktikerin der Macht auch die Frau wahrnahm: „Sie hat Augen wie Caligula, aber den Mund von Marilyn Monroe.“

Mit eiserner Härte und Ausdauer, gelegentlich auch mit Schmeicheleien, notfalls unter Tränen handelte und verhandelte Thatcher für das, was sie unter britischen Interessen verstand – eine „kristallklare Vision von Tory-Nationalismus“, hat dies der Historiker und frühere Labour-Abgeordnete David Marquand genannt.  Sie reduzierte Großbritanniens bis dahin deutlich überhöhte Netto-Beiträge in die Brüsseler Kasse und focht für den Binnenmarkt der zukünftigen EU. Sie schickte eine Expeditions-Truppe 8000 Kilometer um den Globus und ließ 1982 die Falkland-Inseln von den Argentiniern zurückerobern. Früher als andere setzte sie Anfang der achtziger Jahre bereits Hoffnungen auf Michael Gorbatschow als zukünftigen Reformer (und letztlich Nachlassverwalter) der Sowjetunion. Visionär war 1988 auch ihre Warnung vor dem Klimawandel: „Ungewollt haben wir ein riesiges Experiment mit den Grundlagen der Erde begonnen.“ Kleinmütig stellte sich die Premierministerin 1989/90 gegen die deutsche Einheit: „Wir haben sie zweimal besiegt, jetzt sind sie wieder da“, lautete ihr Ressentiment.

Für Zeitgenossen und politische Nachkommen bleibt Thatcher vor allem die Ideologin des Thatcherismus – also der energischen Inflationsbekämpfung, der Entfesselung von Marktkräften, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt, der Privatisierung von Staatsunternehmen. Das Glück des Tüchtigen statt Solidarität im Niedergang – dieser Bruch mit dem Konsens der Nachkriegszeit bleibt Thatchers Hinterlassenschaft. Im Register ihrer Memoiren finden sich 15 Verweise auf das Stichwort „Arbeitslosigkeit“, hingegen 115 auf „Monetärpolitik“. Das haben feindselige Interpreten als Quintessenz der hartherzigen Kapitalistin gewertet. Als weiteren Beleg zitieren sie den berühmten Satz aus einem Magazin-Interview: „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht.“ Wer die Passage nachliest, findet eine Aufforderung zur Selbsthilfe, aber auch zur christlich motivierten Fürsorge für den Nächsten: „Es kann keinen Anspruch geben, ohne dass der Einzelne erst einer Verpflichtung nachgekommen ist. Das Leben ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit.“

Seite 2: Wie eine dreifache Außenseiterin den Aufstieg schaffte

Harte Arbeit, großes Selbstvertrauen, Kaltschnäuzigkeit und ein erhebliches Quäntchen Glück – auf diesen Pfeilern ruhte Margaret Thatchers Aufstieg. Die Tochter eines konservativen Gemüsehändlers aus der Kleinstadt Grantham (Grafschaft Lincoln) kämpfte sich mit eisernem Willen nach oben: zum Chemie-Studium an die Elite-Uni von Oxford, zu einem sicheren Parlaments-Mandat im Nord-Londoner Bezirk Finchley (1959), schließlich an die Spitze ihrer Partei (1975) und ihres Landes. Die Tory-Partei war in den fünfziger Jahren eine Männer-dominierte Bastion des Kleinadels und der Staatskirche. Thatcher blieb dreifache Außenseiterin, wie der deutsche Historiker Dominik Geppert festgestellt hat: „als Frau, wegen ihrer sozialen Herkunft aus der unteren Mittelschicht und wegen ihrer religiösen Wurzeln im Methodismus“. Ein solcher Aufstieg ist kaum denkbar ohne fast messianische Gewissheit der eigenen Bedeutung. Einem Interviewer gab Thatcher einmal Auskunft auf die Frage, was sie aus ihrem Chemie-Studium gelernt habe: „Als Naturwissenschaftlerin betrachtest Du Tatsachen und ziehst daraus Schlussfolgerungen.“

Nach dieser Maxime handelte sie auch. Als einzige besaß die vormalige Bildungsministerin Anfang 1975 den Mut, den glücklosen Parteichef und Ex-Premier Edward Heath herauszufordern. Sie schaffte den Sprung an die Spitze der konservativen Partei und war dort jahrelang umstritten. Alle Meinungsumfragen im Herbst 1978 deuteten auf einen Wahlsieg der Labour-Regierung hin. Nur weil Premier James Callaghan zögerte, die Unterhauswahl anzuberaumen (was in seinem Ermessen lag), und weil im Winter die Gewerkschaften wieder einmal das Land lahmlegten, konnten die Konservativen bei der Wahl im Mai 1979 vorbeiziehen. Der „Gezeitenwechsel in der Politik zu Gunsten von Frau Thatcher“, von dem Callaghan später sprach, war der ziemlich lahme Versuch, seinen politischen Kardinalfehler zu rechtfertigen.

Schwach, unentschlossen oder übermütig handelten viele andere von Thatchers Gegnern – sie wurden allesamt rücksichtslos beiseite gefegt. Ihr Kabinett säuberte sie nach und nach von den sogenannten „Wets“, also den Exponenten der alten Patrizier-Partei. Die Labour-Party rückte nach Linksaußen, die Gründung der sozialdemokratischen SDP spaltete die Opposition auf Jahre hinaus – ein wichtiger Grund dafür, dass die Konservativen unter Thatchers Führung dreimal hintereinander mit rund 40 Prozent der abgegebenen Stimmen satte parlamentarische Mehrheiten gewannen.

Argentiniens Diktator Galtieri glaubte im April 1982, mit der Eroberung der Falklands (Malvinas) von innenpolitischen Problemen ablenken zu können. Der trotzkistische Gewerkschaftsführer Arthur Scargill träumte vom Generalstreik und führte seine Bergarbeiter 1984/85 ins Verderben. Dem Hungerstreik von IRA-Gefangenen begegnete Thatcher 1981 mit unversöhnlicher Härte, bis die irisch-katholische Terrortruppe ihre Aktion nach dem Tod von zehn Männern abbrach. Drei Jahre später entkam die Premierministerin auf dem Tory-Parteitag nur knapp der IRA-Bombe, die fünf Menschen tötete und 31 teils schwer verletzte.

Gestützt auf die Milliarden-Einnahmen aus dem Nordsee-Öl senkte die eiserne Lady die Steuern, machte Millionen von Briten zu Häuslebesitzern, brach die Macht der Gewerkschaften. Die Liberalisierung der Londoner City markierte deren Aufstieg zum wichtigsten Finanzplatz der Welt, freilich auch einem der Inkubatoren des Kasino-Kapitalismus, der die Welt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren gestürzt hat.

Seite 3: Wie Thatcher zur Propagandistin des englischen Nationalismus wurde

Das Dogma, die Londoner Regierung müsse als Sprachrohr der Banker agieren, stammt aus Thatchers Amtszeit. Die soziale Ungleichheit stieg immens, ein primitiver Materialismus machte sich breit, der allen konservativen Werten Hohn spricht. Margaret Thatcher überließ ganze Regionen nicht einfach nur sich selbst. Sie brach dem allenfalls vorhandenen Bürger- und Regionalstolz auch noch das Genick, indem sie alle Macht in London zentralisierte, die Kommunalverwaltungen zu Erfüllungsgehilfen degradierte, entindustrialisierte Städte verslumen ließ und ihre Anstrengungen auf den Süden Englands konzentrierte. Dort gewann sie ihre Wahlen. In ganzen Landstrichen Nordenglands, in Wales und Schottland durfte sich ein Tory lange Jahre nicht einmal blicken lassen.

Elf Jahre lang blieb Thatchers Herrschaft weitgehend unangefochten, dann rebellierte die eigene Fraktion. Das Kabinett verweigerte der eisernen Lady die Gefolgschaft, im November 1990 trat sie zurück. Dass es vordergründig um Großbritanniens Verhältnis zu Europa ging, hat Thatcher dem Kontinent nie vergessen. Sie träufelte ihrer Partei und ihrem Land das Gift der scheinbar unaufhaltsamen Entfremdung Großbritanniens vom europäischen Einigungsprojekt ins Ohr. Thatcher und ihre Einflüsterer haben den Bruch mit Brüssel herbeigesehnt – da hatte sich die harte, pragmatische Verantwortungsethikerin längst verwandelt in die patriotische Propagandistin des englischen Nationalismus. Nicht zufällig war ihr letzter großer Auftritt bei einem Tory-Parteitag 1999 dem Thema Europa gewidmet. „Zeit meines Lebens kamen unsere Probleme vom Kontinent, die Lösungen aber aus den englischsprachigen Ländern dieser Welt“, rief die eiserne Lady in den Jubel der Delegierten hinein.

Nach mehreren leichten Schlaganfällen und dem Tod ihres Mannes Denis 2003, mit dem sie im Jahr 1953 Zwillinge bekommen hatte, zog sich Thatcher immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Und doch blieb das Interesse ungebrochen. Jeder ihrer selten gewordenen Schritte in der Öffentlichkeit wurde in den Abendnachrichten gezeigt, jede noch seltenere Äußerung von den Medien ebenso ausführlich begutachtet und kommentiert wie der Memoirenband von Thatchers Tochter Carol, in dem diese 2008 detailliert die Altersdemenz der übermächtigen Mutter beschrieb. Im Film „The Iron Lady“ hat Meryl Streep diesen Verfall 2011 brillant dargestellt. Freilich gab es viele, die das Unwohlsein von Thatchers Nachfolger im Amt des Premierministers teilten: „Ich hätte mir gewünscht, der Film wäre später gemacht worden“, sagte David Cameron. Gemeint war: nach ihrem Tod.

Nun ist dieser Tod eingetreten. Umstritten, angebetet, verhasst – bis die Briten Margaret Thatcher mit kühleren Köpfen beurteilen, werden noch viele Jahre vergehen.

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