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(picture alliance) Peter Krämer, Reeder aus Hamburg: „Die Debatte über Gerechtigkeit wird das zentrale Thema der kommenden Jahre.“

Hamburger Reeder Peter Krämer - „Kampf dem Feudalismus“

Die Staaten werden ärmer, die Reichen immer reicher. Peter Krämer, Reeder aus Hamburg, will das ändern

Herr Krämer, wann haben Sie das erste Mal öffentlich gefordert, dass die Reichen in Deutschland, zu denen Sie als Hamburger Reeder auch gehören, höhere Steuern zahlen sollen?
Im November 2005 habe ich während der Koalitionsverhandlungen für die Große Koalition einen offenen Brief an Angela Merkel und Franz Müntefering geschrieben. Passiert ist bis heute nichts.

Dabei zeigt der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dass den obersten zehn Prozent mittlerweile 53 Prozent des Nettovermögens gehören. Wundert Sie die Unentschlossenheit der Politik bei diesem Thema?
Mittlerweile nicht mehr, man kann sich nicht sieben Jahre lang über etwas wundern. Die Reichen dieser Republik scheinen aber über eine sehr gut funktionierende Lobby zu verfügen.

Immerhin haben die von der SPD und den Grünen regierten Bundesländer angekündigt, einen Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der Vermögenssteuer über den Bundesrat einzubringen.
Das kann man machen, das ist auch ein richtiger Ansatz, aber ich halte das für etwas lahme Symbolpolitik, wenn das der einzige Schritt wäre. Ähnliches gilt für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Alle Berechnungen zeigen, dass dadurch höchstens vier Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskasse fließen.

Wie sähe Ihr Wunschsteuerkonzept aus?
Wenn die Politik mutig wäre, würde sie die Erbschaftssteuer in Deutschland auf britisches Niveau anheben. Dort müssen 40 Prozent abgeführt werden, unabhängig davon, an wen man sein Vermögen vererbt. Wir hätten dann nicht mehr ein Erbschaftssteueraufkommen zwischen zwei und vier Milliarden Euro jährlich, sondern etwa 30 Milliarden Euro. Das wäre der sinnvollste Schritt, um die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinanderklaffen zu lassen. Wichtig ist, dass es vernünftige Freibeträge gibt, weil niemand an Oma ihr klein Häuschen will. Und es darf nur das Privatvermögen besteuert werden.

Warum soll das Betriebsvermögen ausgenommen werden?
Es darf nicht sein, dass durch einen solchen Schritt mittelständische Unternehmen stärker belastet werden als bisher. Sie stellen immer noch 70 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland. Da sie häufig über wenig Eigenkapital verfügen, wäre eine höhere Besteuerung falsch, weil man damit Arbeitsplätze gefährdet. Allerdings muss man den Begriff Privatvermögen schon weit fassen. Die 40 Prozent der BMW-Aktien, die der Familie Quandt gehören, sind für mich Privatvermögen, weil sie das Unternehmen nicht selbst leiten wie ich meine Reederei.

Bringt denn eine Vermögenssteuer aus Ihrer Sicht nichts?
Doch, wir haben das mal für Hamburg ausrechnen lassen. In Hamburg betrugen die Einnahmen aus der Vermögenssteuer 1996 etwa 200 Millionen D-Mark. Danach wurde sie vom Bundesverfassungsgericht ausgesetzt. Dadurch sind Hamburg seit 1997 insgesamt Einnahmen von etwa drei Milliarden Euro verloren gegangen. Wichtig ist hier ebenfalls, dass zwischen Betriebs- und Privatvermögen sauber unterschieden wird. Ich würde einen Vermögenssteuersatz von bis zu 1 Prozent auf Privatvermögen mittragen. In Frankreich werden 2,5 Prozent erhoben. Das führt bei dem derzeitig äußerst niedrigen Zinsniveau zu einem realen Vermögensverlust. So weit würde ich nicht gehen, weil die Substanz erhalten bleiben sollte. Bis zu 1 Prozent lässt sich aber über die Zinserträge wieder hereinholen.

Seite 2: Der Staat könnte Vermögen abschöpfen, ohne dass das Arbeitsplätze kostet

Was halten Sie von der Forderung der bundesweiten Initiative „Umfairteilen“, zwei Jahre in Folge eine Vermögensabgabe in Höhe von 5 Prozent zu fordern?
Auch hier gilt: Soweit sich eine solche Abgabe auf Betriebsvermögen erstreckt, bin ich dagegen. Es ist weltfremd zu verlangen, bei Unternehmen in diesen Zeiten zusätzlich zwei Jahre 5 Prozent des Vermögens abzuschöpfen. Nehmen Sie die deutschen Reedereien: Sie schreiben seit 2009 tiefrote Zahlen. Mein Unternehmen hat einen erheblichen Teil seines Wertes in dieser Zeit eingebüßt, wie auch die meisten anderen deutschen Reedereien. Wenn ich da jetzt noch Geld entnehmen sollte, um eine Vermögensabgabe zu zahlen, das wäre Wahnsinn.

Um den Maßnahmenkatalog ganz abzuhandeln: Nach einem Vorschlag des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird auch über eine Zwangsanleihe diskutiert, womit man die Reichen zur Staatsfinanzierung zwingen will.
Das ist völlig absurd. Der Staat verfügt über genügend steuerliche Möglichkeiten, Vermögen dort abzuschöpfen, wo es keinerlei Arbeitsplätze kostet.

Haben Sie keine Angst davor, dass die Reichen dann Deutschland verlassen?
Nein, einige, wie Herr Müller, der ehemalige Eigentümer von Müllermilch, oder einige Sportstars, denen die Steuern hier zu hoch sind, sind ohnehin schon ins Ausland gegangen. Ansonsten sind die Deutschen genauso heimatverbunden wie die Briten und die Franzosen auch. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung wird das Vermögen der reichen Deutschen aber wesentlich geringer besteuert als in den meisten anderen Staaten Westeuropas, und das finde ich skandalös.

Warum sollte der Staat überhaupt noch mehr Geld erhalten? Die S teuereinnahmen in Deutschland sind bereits auf Rekordniveau, und trotzdem bekommt die Bundesregierung keinen ausgeglichenen Haushalt zustande.
Es geht mir darum, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer wird. Es wird einen Punkt geben, an dem sich die Leute das nicht mehr gefallen lassen. Das sieht man an den Konflikten in Griechenland, Spanien oder beim Hochkommen der Occupy-Bewegung. Ich will damit gar nicht jede Form dieser Proteste gutheißen, aber ich glaube, dass Stéphane Hessel mit seinem Buch „Empört euch!“ viele richtige Ansätze liefert. Daraus folgt auch, dass die Bürger den Staat besser kontrollieren müssen. Damit Steuergelder nicht sinnlos verschwendet werden, sollte der Bundesrechnungshof in begrenztem Umfang Exekutivgewalt in seiner Kontrollfunktion erhalten.

Seite 3: Wir brauchen ein einheitliches europäisches Steuersystem

Warum wollen Sie nicht selbst entscheiden, was Sie mit Ihrem Geld machen?
Ich setze mich für eine stärkere Besteuerung der Reichen ein, weil ich eine neue Spielart des Feudalismus ablehne. Es kann nicht sein, dass es einen Machttransfer auf die Reichen gibt, bei dem sie nach eigenem Gusto ohne demokratische Legitimation alleine entscheiden, was förderungswürdig ist in unserer Gesellschaft. Deshalb stehe ich auch der Aktion „Giving Pledge“ der US-Milliardäre Bill Gates und Warren Buffett, die die reichsten Menschen der Welt dazu bewegen wollen, Großteile ihrer Vermögen für philanthropische Zwecke zur Verfügung zu stellen, äußerst kritisch gegenüber. Buffett fordert inzwischen gleichzeitig auch höhere Steuern für Reiche.

Aber hat dieses Engagement in den USA nicht eine ganz andere Tradition, weil der Staat dort weniger Aufgaben übernimmt?
Sicherlich, ich möchte den Beteiligten gar nicht ihren guten Willen absprechen, aber ich möchte das in Deutschland nicht haben. Stiftungsarbeit ist auch hier wichtig, sollte aber bei der Erfüllung gesellschaftspolitischer Aufgaben an zweiter Stelle hinter den notwendigen staatlichen Abgaben stehen. In den USA ist das Stiftungsrecht sehr viel großzügiger als hier, weil der Begriff der Gemeinnützigkeit viel weiter gefasst wird. Da können Sie für die Erhaltung der Fischgründe vor Alaska kämpfen, Golfplätze bauen oder Aids-Forschung unterstützen. Da man diese Ausgaben teilweise noch direkt von der Steuer abziehen kann, haben reiche Amerikaner dann selbst die Wahl: Baue ich einen Golfplatz oder zahle ich Steuern? Das finde ich völlig inakzeptabel. Es sind doch die Reichen, denen viel an einem starken, sicheren Staat liegt, weil sie am meisten zu verlieren haben. Dann müssen sie aber auch bereit sein, für die notwendigen staatlichen Aufgaben Steuern zu zahlen.

Könnte es sein, dass sich diese Diskussion bald erübrigt, wenn die weltweit hohen Staatsschulden uns in eine noch heftigere Krise stürzen?
Ich habe inzwischen den Eindruck, dass Politiker und Sachverständige selbst nicht wissen, wie wir aus dieser Krise herauskommen sollen. Das beunruhigt mich zutiefst. Meines Erachtens brauchen wir in Europa neben der gemeinsamen Währung auch ein einheitliches Steuersystem. Anders lässt sich der Euro nicht aufrechterhalten. Sollte die nächste Krise noch heftiger ausfallen, gerät unser gesamtes Wirtschaftssystem in Gefahr. Vielleicht realisieren die Staats- und Regierungschefs der G 20 dann endlich, was die Stunde geschlagen hat, und reformieren einheitlich das Finanz- und Steuersystem.

Vielleicht gehen Sie selbst in die Politik.
Ich bin politisch sehr stark engagiert, investiere sehr viel Zeit und eigenes Geld für das Projekt „Schulen für Afrika“, das ich zusammen mit Nelson Mandela und Unicef ins Leben gerufen habe. Es ist die weltweit wichtigste Privatinitiative im Bildungssektor. Demnächst weihen wir unsere 1000. Schule ein. Bildung ist der Schlüssel zur Demokratisierung. Für deutsche Parteipolitik bin ich aber zu ungeduldig. Es würde mich aber reizen, Spitzenpolitiker in gesellschaftspolitischen Fragen zu beraten, weil die Gerechtigkeitsdebatte das zentrale Thema der kommenden Jahre sein wird.

Peter Krämer ist ein Hamburger Reeder und Millionär, der sich für eine gerechtere Verteilgung der Finanzen in Deutschland und Europa einsetzt. Er plädiert für eine höhere Besteuerung der Reichen und ist Mitbegründer der Hamburger Gesellschaft zur Förderung der Demokratie und des Völkerrechts e. V. Seine Schiffe benennt er nach Widerstandskämpfern

Das Interview führte Til Knipper

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