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(picture alliance) Papst Benedikt XVI.

Generation Benedikt - „Der Papst ist nicht der Pressereferent der Kirche“

Vor fünf Jahren wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Die Skandale um den Holocaust-Leugner Richard Williamson und die Missbrauchsfälle überschatten das Pontifikats Benedikt XVI. Cicero Online sprach darüber mit Nathanael Liminski, dem Sprecher des katholischen Jugendnetzwerkes „Generation Benedikt“. Deren Einschätzung: Die Kirche hat vor allem ein Problem mit ihrer Außendarstellung.

Herr Liminski, Sie sind Sprecher der „Generation Benedikt“, einem Netzwerk junger Katholiken. Was fasziniert junge Leute wie Sie am Papst?
Seine Glaubwürdigkeit. Dieser Papst traut uns jungen Menschen zu, dass wir nach dem Wahren streben, wie er es ausdrückt. Ich kenne keine Person des öffentlichen Lebens, die ein derartiges Zutrauen in die Jugend hat.

Viele junge Leute kritisieren, dass sich in den fünf Jahren unter Papst Benedikt XVI. die katholische Kirche zurückentwickelt habe. Wie sehen sie das?
In den inhaltlichen Fragen sehe ich eher eine fortschrittliche Entwicklung. Gleichzeitig kann ich nachvollziehen, dass viele Menschen von einem Rückschritt ausgehen, wenn man sich derzeit das öffentliche Bild der Kirche anschaut. Ich empfehle aber, sich das durchzulesen, was der Papst tatsächlich sagt und nicht nur das, was andere über ihn sagen.

Der Papst hat zwar intensiv den interreligiösen Dialog verfolgt. Große Reformen sind doch aber ausgeblieben.
Die Kirche hat von Jesus Christus eine Wahrheit anvertraut bekommen. Sie hat den Auftrag, diese Wahrheit immer wieder neu in die Zeit zu stellen und zu übersetzen. Sie kann jedoch nicht willkürlich daran rumdeuten oder neue Wahrheiten hinzuerfinden. Insofern sind die Reformerwartungen, die viele an die Politik stellen, bei der Kirche fehl am Platz. Ratzinger ist zudem jemand, der sehr behutsam vorgeht. Das ist doch besser als öffentlichkeitswirksam irgendwelche Reformen anzukündigen, die dann womöglich gar nicht umgesetzt werden.

Gehört es aus Ihrer Sicht denn auch zur Wahrheit der katholischen Kirche, dass es keine Frauen im Priesteramt geben darf?
Als Generation Benedikt können wir uns sehr gut vorstellen, dass Frauen viel stärker in Beratungsgremien und Führungsaufgaben eingebunden werden. Wäre dies schon früher passiert, wäre man in den letzten Jahrzehnten von Seiten kirchlicher Stellen wohl anders mit den Fällen sexuellen Missbrauchs umgegangen. Davon sind wir überzeugt. Wir sehen mit derlei Überlegungen aber nicht direkt die Frage des Priestertums verknüpft. Priester handeln bei zentralen Glaubensakten wie der Eucharistiefeier ja in Persona Christi. Und von Christus wissen wir nun mal, dass er ein Mann war. Wenn also ein Priester in seiner Stellvertreterschaft das Brot und den Wein wandelt, dann ist es mit Blick auf die Treue gegenüber der im christlichen Menschenbild festgeschriebenen Geschlechtlichkeit nur konsequent, wenn dieser Priester eben auch ein Mann ist.

Die erste Krise seines Pontifikats war für Benedikt XVI. der Streit um die Piusbrüderschaft, als er auch die Exkommunikation eines Holocaust-Leugners aufhob. Wie konnte das einem deutschen Papst überhaupt passieren?
In Rom war man sich über diese Zusammenhänge wohl nicht ausreichend im Klaren. Und selbst wenn, hat man sie unterschätzt. Eines muss man jedoch klarstellen: Der Papst maßt sich nicht an, ein weltlicher Richter zu sein. Und eine Holocaust-Leugnung ist eine Sache für weltliche Gerichte, nicht für kirchliche. Der Papst hat doch vor allem seine Hirtenpflicht wahrgenommen, schließlich sind mit der Piusbrüderschaft rund 600.000 Katholiken verbunden. Er wollte vermeiden, dass die sich zunehmend von der Kirche entfernen und hat deswegen die Arme ausgebreitet.

Die Kirche hat also keine Fehler gemacht?
Doch. Die Kirche hat es verpasst, mit einer geeigneten Öffentlichkeitsarbeit den theologischen Hintergrund etwa einer Exkommunikation ausreichend zu erklären. Andererseits haben Medienvertreter voneinander unabhängige Dinge in unverantwortlicher Weise miteinander vermengt. Fehler wurden auf beiden Seiten gemacht.

Auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte Benedikt XVI. für seinen Umgang mit der Piusbrüderschaft kritisiert – zu Recht?
Ich fand die Äußerungen der Kanzlerin damals unangebracht. Es gibt wenige Menschen, die sich derart deutlich gegen jede Art von Antisemitismus geäußert haben und sich für den Dialog zwischen Christen und Juden eingesetzt haben, wie Joseph Ratzinger. Die Kanzlerin hat hier ziemlich offensichtlich versucht, eine Woge der Zustimmung mitzunehmen und für sich selber einzuheimsen. Das sind nicht besonders lautere Politikmethoden.

Von allen Seiten wurde der Papst damals kritisiert, eine gefühlte Ewigkeit passierte dann erst mal nichts gemacht. Ist der Papst mit der Schnelligkeit des Medienzeitalters überfordert?
Der Papst ist nicht der Pressereferent der Kirche. Ich habe aber den Eindruck, dass er in diesen Fragen schlecht beraten ist, was auch auf schlechte Personalentscheidungen in der Kurie zurückzuführen ist. Die Kirche muss in Teilen noch lernen, dass die mit dem Internet und Fernsehen verbundene Tagesaktualität kein unzulässigen Druck, sondern eine grundlegende Rahmenbedingung heutiger Medienarbeit darstellt.

Papst Johannes Paul II. galt ja als Medienprofi. Was fehlt Benedikt XVI. an dieser Stelle im Vergleich zu seinem Vorgänger?
Papst Johannes Paul II. hatte von seiner ganzen Wesensart her ein sehr gutes Gespür für Symbole und Gesten, für tolle Bilder, die häufig mehr transportieren als Worte. Bei Joseph Ratzinger ist das anders. Nichtsdestotrotz ist beides notwendig. Insofern kann man dem Papst nur wünschen, dass er Menschen an seiner Seite hat, die in diesem Bereich nachhelfen und die Chancen dieser Mediengesellschaft zu nutzen wissen.

Eine weitere Krise ist der der Umgang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Verliert der Papst nicht insgesamt an moralischer Autorität?
Der Papst hat für viele offenbar durch diese Krise an moralischer Autorität verloren – das belegen ja auch die Umfragen. Seine persönliche Integrität und Glaubwürdigkeit haben in dieser Frage aber nicht gelitten. Wenn man sich anschaut, was dieser Papst zu dem Thema Missbrauch gesagt hat, lässt das an Klarheit nicht zu wünschen übrig.

Nun steht Papst immer öfter auch selbst in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Was sagen Sie zu den Anschuldigungen?
Man muss schon die ganze Realität beschreiben. Joseph Ratzinger war der erste Kardinal in der Kurie, der dieses Thema überhaupt zu einem innerkirchlichen Problem gemacht hat. Davor ist man davon ausgegangen, dass es sich bei Pädophilie um eine Sünde handeln würde, die nach entsprechender Beichte und Vergebung keine weiteren Probleme verursache. Ratzinger hat dafür gesorgt, dass solche Fälle nicht mehr in den Diözesen versickern können, sondern dass es eine Meldepflicht gegenüber Rom gibt. Auch die verlängerten Verjährungsfristen gehen auf ihn zurück.

Ein Fall in München zeigt doch aber, dass Ratzinger selbst pädophile Priester versetzt hat ohne staatliche Stellen einzuschalten.
Der Generalvikar, der dort damals für das Personal zuständig war, hat die Verantwortung für diesen Fall voll auf sich genommen. Aber selbst wenn Joseph Ratzinger als Erzbischof von München wissentlich geduldet hat, dass dieser Priester wieder in den pastoralen Dienst kommt, mindert das nicht seine heutige Autorität als Papst. Sollte das mit seinem Wissen und seiner Zustimmung geschehen sein, war das ein Fehler, ganz klar. Joseph Ratzinger war als Mensch und Führungskraft fehlbar und als Bischof auch Teil des Systems Kirche. Und ich gestehe der Kirche und ihren Verantwortungsträger zu, in solchen Fragen lernen zu dürfen. Das entschuldigt begangene Fehler nicht, macht sie aber zumindest nachvollziehbar.

Aber steht das nicht in Widerspruch zu der Unfehlbarkeit, die Joseph Ratzinger als Papst für sich in Anspruch nimmt?
Die Unfehlbarkeit ist mit dem Amt verbunden und nicht mit der Person. Abgesehen davon ist die Unfehlbarkeit sehr strikt in der Kirche geregelt. Sie betrifft nicht den Papst selbst, sondern immer eine bestimmte Entscheidung des Papstes, die er in kollegialer Beratung mit den Bischöfen vornimmt.

Mittlerweile hat sich Benedikt XVI. zu den Missbrauchsfällen in Irland geäußert – warum aber schweigt er zu dem, was in Deutschland passiert ist?
Um nicht in ein Wettrennen tagesaktueller Meldungen einzusteigen. Ich finde es nachvollziehbar und vernünftig, dass man die momentane Aufklärung abwartet, um das Ausmaß des gesamten Skandals absehen zu können. Und dann kann der Papst angemessen reagieren, wovon ich auch fest ausgehe. Man würde sich aber wohl keinen Zacken aus der Krone brechen, ein solches Wort jetzt bereits anzukündigen. Die Kirche sollte sich nicht in ihre Wagenburg zurückzuziehen.

Wird eine Aufklärung durch diese abwartende Haltung nicht eher behindert?
In den Aussagen des Papstes in Bezug auf die Missbrauchsfälle in den USA, in Irland und in Australien gibt es keine einzige Stelle, in der er dazu rät, die Aufklärung einzudämmen oder zu behindern. Im Gegenteil: Die Aufklärung läuft. Und hierzulande steht sie in Verantwortung der deutschen Bischöfe. Ich finde es etwas verlogen, dass ausgerechnet diejenigen, die sonst immer auf die Selbständigkeit der Diözesen und der deutschen Kirche pochen, jetzt diejenigen sind, die ein Wort des Papstes zu jedem einzelnen Fall in Deutschland verlangen. Das ist nicht konsequent und nicht aufrichtig.

Viele Opfer enttäuscht das dennoch. Hätte sich der Papst nicht ihretwegen an die Speerspitze der Aufklärungsbewegung setzen müssen?
Die Verletzungen, die die Opfer davongetragen haben, weil ausgerechnet Priester sie missbraucht haben, kann ich nur erahnen und ich bedauere sie zutiefst. Ich schäme mich für diese Vergehen in kirchlichem Kontext. Denn diese Kirche ist auch meine Kirche. Deswegen kann ich die Wut verstehen und nachvollziehen. Aber vom Papst zu verlangen, vor Ort Aufklärung im Einzelnen zu betreiben, ist eine Erwartung, die nicht erfüllt werden kann.

Als vor Joseph Ratzinger vor fünf Jahren Papst wurde, gab es einen großen Hype um Benedikt XVI. „Wir sind Papst“ ist allen im Gedächtnis. Heute ist davon nichts mehr übrig. Wie kann der Papst hier wieder auf den grünen Zweig kommen?
Den Hype, den heute viele beschreiben, hat es aus meiner Sicht nie gegeben. Ich habe nicht erlebt, dass sich ganz Deutschland damals mit diesem Papst wirklich identifiziert hat. Hier werden Scheinwelten aufgebaut, um die dramaturgische Fallhöhe in der Tragödie dieses Papstes zu erhöhen. Das ist ein Selbstgespräch von Medien und nicht die Realität, wie sie im kirchlichen Raum stattfindet.

Ihre Organisation richtet sich vor allem an junge Katholiken. Nimmt das Interesse an der Kirche und dem Papst in diesen stürmischen Zeiten eher zu oder eher ab?
Junge Menschen dürsten im Moment nach einer differenzierten Berichterstattung. Als Generation Benedikt nehmen wir die Dinge auseinander und bieten differenzierte Erklärungen an. Das gefällt vielen jungen Menschen, die sich bei uns ehrlich behandelt fühlen. Das bringt Glaubwürdigkeit, was ein wichtiges Kriterium für junge Menschen ist. Und deswegen haben wir im Moment eher einen Zulauf.

Herr Liminski, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Marc Etzold

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